„Wir gehen in Richtung Planwirtschaft!“ - „Blödsinn!“

Ein Streitgespräch zwischen Meris Sehovic & Laurent Mosar

[…] Herr Sehovic, sind die Grünen und die jungen Klimaaktivisten zu negativ – bauen Sie eine unnötige Drohkulisse auf?

Sehovic: Nein. Es sind ja nicht nur Grüne oder Klimaaktivisten die Alarm schlagen, sondern es ist die Wissenschaft. Der Klimanotstand ist keine Erfindung einer Partei, sondern beruht auf der Expertise der weltweit renommiertesten Klimaforscher. Und diese Experten weisen seit den 1980er-Jahren darauf hin, dass wir vor gewaltigen Problem stehen, sofern wir nicht bald handeln. Es sind dabei die Grünen, die seit Jahren die Krise als Chance begreifen, um unsere Gesellschaft zu verbessern. Eines ist nämlich sicher: Einfach so weiter machen wie jetzt, können wir nicht. 

Mosar: Ich habe den Hysterie-Vorwurf auch nicht gegenüber den Grünen in Luxemburg angebracht, sondern gegenüber den Aktivisten um Greta Thunberg. Sie treibt mit ihrem Fundamentalismus die Gesellschaften in Europa auseinander und spaltet sie in zwei Lager: gut gegen böse, jung gegen alt. Wer so ideologisch argumentiert, ist nicht mehr kompromissfähig. 

Sie glauben ernsthaft, dass Aktivisten wie Greta eine Gefahr für das demokratische Miteinander sind? 

Mosar: Ich sehe eine Tendenz, dass europäische Staaten die demokratischen Freiheiten beschränken wollen. Ein Beispiel: Wir sind uns alle einig, dass wir uns langfristig nicht mehr mit fossiler Energie bewegen können. Niemand kann aber heute sagen, was nach dem Verbrennungsmotor kommt, welche Technologie sich durchsetzen wird. Elektroauto, Wasserstoffantrieb, synthetischer Treibstoff oder ganz was anderes. Und hier verlange ich Offenheit gegenüber Innovation. Das ist derzeit aber gerade nicht der Fall. Wir orientieren uns in Europa und ganz besonders auch in Luxemburg kompromisslos in Richtung Elektroantrieb, oktroyieren der Wirtschaft eine bestimmte Technologie. 

Sehovic: Das ist doch Blödsinn. 

Mosar: Nein, das ist die Realität. Wir gehen in Richtung Planwirtschaft. Doch wir gewinnen diesen Krieg nur, wenn es einen Wettstreit der guten Ideen geben wird. Wir müssen den Markt entscheiden lassen. 

Herr Sehovic, müssen wir bei der Bekämpfung des Klimawandels stärker auf die unsichtbare Hand des Marktes vertrauen?

Sehovic: Wenn der freie Markt das Problem regeln würde, wären wir jetzt nicht in der Situation des Klimanotstands. Der Glaube an die freie Marktwirtschaft ist ein Irrglaube. Es ist hingegen ein Imperativ der Klimaforschung, dass die nächsten zehn Jahre entscheidend sind. Das neue Jahrzehnt muss das Jahrzehnt des Klimaschutzes sein. Wir können uns also nicht erlauben, noch weitere zehn Jahre zu prokrastinieren. Und Fakt ist, dass die Elektro-Technologie am weitesten fortgeschritten ist. Wasserstoff und synthetische Kraftstoffe dagegen sind zu teuer, sehr ineffizient und kommen zu spät. Das ist eine Verzögerungstaktik. Warum sollen wir also nicht auf die Technologie setzen, die am vielversprechendsten ist.

Die Lage ist ernst – müsste die Politik denn nicht noch deutlicher eingreifen mit Verboten und Interventionismus?

Sehovic: Das tut sie ja bereits – etwa durch Plastikverbote oder CO2-Bepreisung. Ein Teil der Antwort auf das Problem des Klimawandels lautet natürlich: Stärkere Regulierung. 

Also gehen wir doch in Richtung „Planwirtschaft“?

Sehovic: Nein. Das ist eine Scheindebatte, die ich deutlich ablehne. Es sind gerade Begriffe wie „Planwirtschaft“, die die Menschen aufstacheln und Angst verbreiten. Niemand will die Freiheit der Menschen begrenzen oder stellt das demokratische Grundgerüst in Frage. Und selbst Herr Mosar muss wohl einsehen, dass die Politik einen Gestaltungsrahmen vorgeben muss, um die Probleme des Klimawandels anzugehen, sofern er sie den lösen will. 

[…]

Verzicht ist also keine nachhaltige Lösung?

Mosar: Nein.

Sehovic: Wir werden um eine Reihe von Lifestyle-Veränderungen nicht herum kommen. Mit purem Fortschrittsglauben werden wir den Klimawandel sicher nicht bremsen. Es gilt vielmehr darum, unser Wirtschafts- und Wachstumssystem zu überdenken. Bis jetzt sind Gewinne privatisiert und Umwelt- und Klimaschäden kollektiviert worden. Eine klimaschädliche Produktion trat in den Bilanzen der Unternehmen nicht auf, sie waren also nicht veranlasst zu handeln. In Zukunft muss unsere Wirtschaft so ausgerichtet sein, dass sich das ändert. […]

Das heißt zuerst Wohlstand, dann Klimaschutz? 

Mosar: Ja.

Sehovic: Das ist eine falsche Denkart. Klimaschutz und Wohlstand sind keine Gegenspieler, sondern gehen Hand in Hand. Es ein Fehlschluss zu glauben, dass die Entwicklungsländer zuerst den klimaschädlichen Wachstumsweg des Westen gehen müssen, um einen gewissen Wohlstand zu erreichen, und dann erst mit Klimaschutz beginnen sollen. Wir sollten Armut nicht gegen Klimaschutz ausspielen. Wer so argumentiert verlängert nur den Status Quo. Erneuerbare Energien bieten doch gerade Chancen für Entwicklungsländer, die sie bis jetzt nicht hatten. 

Herr Sehovic, glauben Sie, dass ihre Generation in dreißig Jahren den gleichen Lebensstandard genießen kann wie aktuelle die Babyboomer? 

Sehovic: Wenn wir Lebensstandard nicht nur materiell definieren, dann ja. Darum geht es ja beim Klimaschutz: sicherstellen, dass saubere Luft, klares Wasser und eine gesunde Natur in Zukunft nicht ein Privileg nur für Besserverdiener sind. 

Mosar: Ich gebe Herrn Sehovic recht, dass wir Lebensstandard neu definieren müssen. Ich kann mir gut vorstellen, dass wir in Zukunft in kleineren Häuser leben, weniger verdienen, aber dafür auch weniger Arbeiten und mehr Freizeit genießen. Aber natürlich muss das alles sozial verträglich im Sinne der sozialen Gerechtigkeit. […]

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Meris Sehovic